Rick Watson Interview | Amazon: Wer kann den Leader noch schlagen?

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Es gibt nicht viele Gräben, die so gewaltig sind wie der, den Amazon auf dem E-Commerce-Markt hinterlassen hat. Der E-Commerce-Riese wurde quasi für die Covid-19-Pandemie geschaffen – und wird aus ihr mit Sicherheit stärker als je zuvor hervorgehen. Gibt es irgendeine Hoffnung für neuere Online-Marktplätze und Challenger in der Branche wie Facebook oder Google?

Wir haben den führenden US-E-Commerce-Berater und Branchenexperten Rick Watson zu dem Thema im Rahmen des Lengow Days befragt.

1/ Hallo Rick, können Sie sich unseren Lesern kurz vorstellen?

Klar! Mein Name ist Rick Watson. Nachdem ich die letzten 20 Jahre als Technologieunternehmer und Operator ausschließlich in der E-Commerce-Branche für Unternehmen wie ChannelAdvisor, Barnes & Noble und Pitney Bowes tätig war, habe ich im Jahr 2019 mein eigenes E-Commerce-Beratungsunternehmen (RMW Commerce Consulting) gegründet.

2/ Können Sie uns etwas zu Amazon, dem derzeitigen Leader auf dem Markt, sagen?

60 Prozent der Verbraucher suchen bei Amazon nach Produkten eines Händlers, auch wenn er dort nicht vertreten ist.

Wir alle wissen, dass Amazon sich gerade in der Welt des E-Commerce wie der alleinige Herrscher fühlen muss. Im Jahr 2019 erwirtschaftete das Unternehmen etwa 335 Milliarden US-Dollar GMV, das sich auf Amazon-Erstprodukte (rund 60 Prozent des GMVs auf dem Online-Marktplatz) und Amazon-Marketplace-Seller verteilte. Werbung auf Amazon, die vor 10 Jahren noch nicht einmal ein Thema war, ist jetzt ein 14-Milliarden-Dollar-Geschäft und wächst von Jahr zu Jahr um 40 Prozent. Ende letzten Jahres berichtete Marketplace Pulse von etwa 3 Millionen Verkäufern auf Amazon. Das ist genug, um Ihnen ein Gefühl dafür zu geben, mit welcher Art von großer Herausforderung es andere Akteure des Marktes zu tun haben.

Wir sprechen hier von einem der innovativsten Unternehmen der Welt, aber damit ein Konkurrent Amazon tatsächlich zu Fall bringen kann, müssen wir uns dessen Schwächen ansehen. Amazon ist nämlich nicht ohne Probleme. Das größte Risiko für den Leader besteht darin, dass Marken und Händler Vertrauensprobleme mit der Plattform haben oder bekommen. Das Thema Nummer eins? Die Konkurrenz auf Amazon, die das Produkt von anderen Händlern einfach kopiert. Hier liegt aber auch das große Problem für die Herausforderer von Amazon: Denn obwohl Marken und Händler das wissen, unternehmen sie nichts dagegen. Was zählt, ist bei Amazon dabei zu sein. Egal, was der Preis dafür ist. Über 60 Prozent der Konsumenten suchen auf Amazon nach den Produkten eines Händlers, auch wenn er dort nicht vertreten ist!

Amazon hat es schwer, neue Marken außerhalb von AmazonBasics einzuführen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Amazon eine Marke kopiert und besser als diese ist, ist jedoch viel geringer als die meisten Experten annehmen, und das ist eine Schwachstelle. Denn im Gegensatz zu AmazonBasics haben Eigenmarken oder Hausmarken einen “Brick & Mortar”-Fußabdruck, d.h. die Verbraucher können die Marke physisch erleben, bevor sie sie in einem Amazon-Suchergebnis sehen. Dieses Vertrauensproblem gilt auch für Käufer, die aufgrund der mangelnden Authentizität der Händler oder der angebotenen Artikel vor dem Kauf auf Amazon zurückschrecken. Kategorien, die hier gerade für Amazon eine Herausforderung darstellen, sind Elektronik und Markenartikel. Versuchen Sie doch einmal, irgendein offizielles Apple-Ladegerät auf Amazon zu finden. Sie könnten den ganzen Tag mit der Suche verbringen und am Ende sind Sie immer noch nicht sicher, ob Sie das Richtige gekauft haben. Amazon ist nicht immer der beste Ort zum Shoppen.

3/ Wo haben Amazons Herausforderer Erfolg?

Also, was wir hier vor uns haben, ist eigentlich die Frage: “Wie nutzen wir die Schwächen von Amazon aus und machen daraus etwas Großartiges?”

Google

Google ist fantastisch, wenn es darum geht, intent-driven Suche zu befriedigen. Aus der Sicht des E-Commerce bedeutet alles, was Nutzer in die Suchmaschine eingeben, deren Absicht: Ich möchte X machen. Ich möchte Y kaufen. Ich möchte Z recherchieren. Das sind alles Dinge, die Marken und Einzelhändler zu ihrem Vorteil verwenden können. Mittlerweile sind 80 Prozent der Suchanfragen bei Amazon aber markenlos. Aus der Sicht der Verbraucher ist Amazon zunehmend ein Marktplatz für weiße Ware oder Handelsmarken und nicht mehr ein wirklich markenfreundlicher Ort. Das ist jedoch etwas, was Amazon zu ändern versucht!

Verbraucher verwenden Google, um etwas Authentisches von unabhängigen Drittanbietern mit guten Bewertungen zu finden. All diese Dinge sind wertvoll für den Abwägungsprozess und stellen für Google eine große Chance dar, sich zu verbessern und zu monetarisieren.

Facebook

Amazon ist nicht der Ort, an dem man mit Marken interagiert, sondern der Ort, an dem man etwas kauft.

Facebook und Instagram sind für Mainstream-Marken äußerst relevant. Bezahlte soziale Werbung auf Facebook ist eine der effektivsten Werbeformen für Marken, die Engagement schafft, wenn sie richtig angewendet wird. Facebook scheint dies mehr als jede andere Plattform mit Instagram zu tun. Der Marktplatz von Facebook hingegen ist nicht wirklich für Marken und für Mainstream-Einzelhandelsunternehmen gedacht. Kosmetik- und Modemarken hatten aber großen Erfolg mit Instagram Shopping, das in sehr kurzer Zeit Dutzende und Hunderte von Millionen Dollar GMV geschaffen hat. Instagram ist ein Ort, an dem Verbraucher Marken verfolgen, finden und mit ihnen interagieren können. Dies ist einzigartig und die Nummer eins in der Welt, und es passt zu einer Schwäche von Amazon. Amazon ist nicht der Ort, an dem man mit Marken interagiert, sondern der Ort, um etwas zu kaufen. Die Verbraucher suchen Instagram auf, um die neue Linie für die neueste Modemarke zu entdecken. E-Commerce ist eine der drei obersten Prioritäten von Mark Zuckerberg, und das ist eine große Stärke, wenn man bedenkt, dass es sich eigentlich um ein Werbeunternehmen handelt.

4/ Was hält sie also davon ab, den Leader zu schlagen?

Zunächst einmal haben Facebook und Google keine großen oder bedeutenden Marktplätze, von denen man sprechen könnte. Sie begannen als Social-Media-Plattformen bzw. Suchmaschinen. Natürlich kann man auf Instagram bestimmte Dinge verkaufen, aber im Vergleich zum eigentlichen Leader Amazon ist diese Funktion noch relativ unausgeschöpft.

Google ist ein großartiges Tool, um die Intentionen der Verbraucher zu verstehen, die Zunahme des Anteils der Suchanfragen, die Amazon immer weiter wachsen lässt. Zuerst lagen die Anfragen bei etwa 10 Prozent. Jetzt beginnen weit über 60 Prozent aller auf den Kauf ausgerichteten Suchanfragen direkt bei Amazon. Das große Problem von Google besteht darin, dass das gesamte Geschäftsmodell darauf beruht, den Traffic von der eigenen Website zu lenken, anstatt ihn auf Google zu halten.

Die hohe Marge eines Werbegeschäfts ist eigentlich das größte Risiko für diese Werbe- und Softwarefirmen, die versuchen, direkt mit Amazon zu konkurrieren. Einzelhandel und E-Commerce sind kein Geschäft mit hohen Gewinnspannen. Sie werden keine 90 Prozent Marge erzielen, wie bei einem Software-Business oder einem Werbeunternehmen. Sie werden 25 oder 50 Prozent im Großhandel verdienen, und im Backend müssen Sie Retouren, Betrugsbekämpfung, Software-Gebühren und eine Reihe von weiteren Elementen berücksichtigen, um die Sie sich in einem Werbegeschäft nicht kümmern müssen. Es ist schwer für einen Vorstand, genug Budget hinter diese Initiative zu stellen.

5/ Letzte Frage: Wie sieht Ihre Vision des Marktes in den nächsten Jahren aus?

Amazon ist in den nächsten Jahren wahrscheinlich ziemlich sicher vor der Konkurrenz, aber es stehen definitiv einige Herausforderungen am Horizont. Meine langfristige Sichtweise ist, dass Amazon in vielen Fällen sein eigener schlimmster Feind ist – mit der Verbreitung von Fälschungen und dem Händler-Vertrauensbruch. Wäre ich Amazon, würde ich mich eher darauf konzentrieren, als auf die Konkurrenz, um zu verhindern, dass die Verbraucher ihre Produkte letztendlich anderswo kaufen.

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Adrian Gmelch

Adrian Gmelch ist Tech- und E-Commerce-begeistert. Er betreute zunächst große Tech-Unternehmen bei einer internationalen PR-Agentur in Paris, bevor er für die internationale Öffentlichkeitsarbeit bei Lengow tätig wurde.

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